Johns Stuart Mill – Über die Freiheit

Aus meiner Reihe: Klassiker lesen! Ich kann es nur jedem immer wieder ans Herz legen: Leute, lest Klassiker! Klassiker sind neben der Natur das andere Refugium, in dem der Geist zur Ruhe kommt, die Gedanken sich ordnen, das Weltverständnis mit der Basis in Kontakt tritt.

John Stuart Mill war ein Engländer des 19. Jhd. (1806-1873), führender Kopf des englischen Liberalismus und Utilitarismus und kurzzeitig im Parlament tätig. Sein berühmter Essay über die Freiheit von 1859 ist heute noch (und wieder!) von einer enormen Aktualität.

Die Schrift ist im Wesentlichen ein Plädoyer für die Entfaltung der individuellen Freiheit im Rahmen der Gesellschaft. In heutiger Nomenklatur wird seine Wirkungszeit als das Viktorianische Zeitalter bezeichnet, welches mit entsprechenden Vorurteilen belegt ist,  und entsprechend überraschend ist die Aktualität der Bestandsaufnahme und der Klagen über die Zustände.

Die Grundthesen des Essays sind folgende: Individuelle Freiheit ist ein Menschenrecht. Sie erstreckt sich soweit, bis sie die Freiheit anderer Individuen in einem nicht mehr tolerablen Umfang beeinträchtigt. Keine weiteren Begründungen zu ihrer Beschränkung sind gerechtfertigt. Dabei ist Freiheit nicht etwas, das von der Obrigkeit gewährt zu werden hat, in dem Grade, in dem sie mit deren Machtinteressen kompatibel scheint, also eine Art Konzession aus Gründen gewisser moralischer Prinzipien oder des inneren Friedens. Vielmehr ist die Ausübung der Freiheit ein unverzichtbares Regulativ der guten Gesellschaft selbst, insofern in ihrem Gebrauch die stets notwendige Kritik der Verhältnisse stattfindet und die Diskussion um deren Rechtfertigung am Leben erhält. Dies beides ist notwendig, weil niemand – keine Obrigkeit, keine Philosophie, keine Tradition – im Besitz der letzten Wahrheit über das Richtige ist, so dass sich alle Verhältnisse stets in einem Zustand der kritischen Befragung befinden müssen.

Mill thematisiert die individuelle Freiheit in zwei Bereichen: Einerseits in Bezug auf die freie Meinungsäußerung, und zum anderen in Hinsicht auf die individuelle Lebensführung.

Beide Bereiche sind als sozusagen politische Kampfplätze derzeit wieder hochaktuell, und die Klarheit und Präzision der Millschen Argumentation, ihre Anwendbarkeit auf die modernen Verhältnisse ist erstaunlich und daher in höchstem Grade lesenswert. Die traurige Erkenntnis daran ist: Es hat sich fast nichts geändert an der Praxis, außer den Anlässen, den vorgeschützten Begründungen und dem jeweiligen Ausmaß freiheitsunterdrückerischer Maßnahmen. Denn natürlich steht das Thema Zensur hier im Mittelpunkt der Betrachtung. Um aber nicht ein komplettes Referat des Inhalts zu geben, an dieser Stelle dazu nur so viel: An der Verlogenheit der obrigkeitlichen Begründungen für Zensurmaßnahmen hat sich nichts geändert. In keiner freien Diskussion würden die geheuchelten vorgeblichen Begründungen ihrer Notwendigkeit Bestand haben. Das Ausmaß eben dieser Verlogenheit ist durch die Geschichte hindurch erschreckend und dabei konstant hoch.

Ebendies muss jedem aufmerksamen Bürger auch Anlass zu höchster Besorgnis und Achtsamkeit geben: die Meinungsfreiheit ist ein außerordentlich zartes Pflänzchen, und hinter jeder Ecke lauern mächtige Interessenten, denen daran gelegen ist, sie zu zertrampeln und tu ersticken. Darum darf es hier niemals Kompromisse geben!

Aber Mill geht noch weiter: Besonders interessant ist hier gerade für uns im Zeitalter der Social Media Befindlichen seine Beobachtung, dass mit der Demokratisierung der Verhältnisse auch ein anderes mächtiges Zensurgeschehen entstanden ist: Die öffentliche Meinung! Da die wenigsten Menschen vom eigenen Verstand Gebrauch machen, sondern sich auf das Wiederkäuen fremden Gedankenguts beschränken, ist im öffentlichen Raum eine Tendenz zur Gleichschaltung der Gesinnung festzustellen, mitsamt der entsprechenden Missbilligung der Abweichler. Für das feine Gespür von Mill wäre es vermutlich das Ausmaß des medialen Kampfes um die Meinungshoheit im öffentlichen Raum, wie er derzeit bei uns tobt, noch unvorstellbar gewesen. Doch das darin herrschende Prinzip hat der bereits damals deutlich wahrgenommen.

Eigentlich ist es eine Binse, dass Zensur nie dem vorgeblichen guten Anliegen geschuldet ist, nämlich dem Schutz und der Sicherheit, der Bewahrung der Wahrheit und des Friedens, sondern schlicht und simpel stets nur der Bewahrung der eigenen Macht. Dennoch wird seit der Erfindung des Buchdrucks und noch vorher dasselbe Arsenal von Lügen und geheuchelten Gründen vorgetragen, bis zum heutigen Tag, tagesaktuell in der Person von Robert Habeck, der sich vor Verzweiflung darüber kaum einkriegt, dass er Elon Musk und seinem X nicht das Maul verbieten kann. Man stochert und ringt derzeit nach der Verbalisierung des Vergehens, dessen man Musk bezichtigen kann, aber es will noch nichts kommen, bis dann (so meine Voraussage) in Kürze ein völlig beklopptes aber griffiges Narrativ auftauchen und die Runde in den Medien machen wird, und alle fühlen sich dann wieder oben auf dem Roß der moralischen Meinungshoheit. Aber das nur am Rande.

Also, in der Sache ändert sich nichts, nur die vorgeschobenen Gründe und Anlässe.

Ebenso ist es auf dem anderen Terrain, das Mill beackert: die individuelle Lebensführung. Zu Zeiten Mills war hierunter überwiegend die Konformität mit der religiösen Praxis zu verstehen, erweitert durch ein recht rigides Korsett der Erwartungen an gesellschaftliche Do’s and Don’ts. Nun, das religiöse Korsett ist seitdem weit lockerer geworden, aber das Auftauchen neuer „Religionen“ ist dabei, in diese Lücke zu stoßen und mühelos Ersatz zu schaffen. Ganz oben steht dabei die Klimahysterie, anlässlich welcher zahllose Versuche gemacht werden, in die Lebenspraxis des unbescholtenen Bürgers hineinzupfuschen – ich nenne nur mal pauschal die Bereiche Heizen, (Individual-)Verkehr, Ernährung, Energieversorgung. Klagen der Deutschen Umwelthilfe, EU-Verordnungen, politische Maßnahmen, Verfassungsgerichtsurteile und unüberschaubare Mengen von Änderungen, Vorschriften, etc. sowie ständige Maßnahmen zur Gesinnungsmanipulation von Kindesbeinen an. Weitere gesinnungspolizeiliche Maßnahmen drohen aus der Ecke des ideologischen Gärsumpfs aus Wokeismus, Antifaschismus, Kampf gegen Rechts und seinen ganzen Ausläufern und Spielarten. Dieses quasireligiöse Milieu ist ein Teilen bereits in die Justiz- und Regierungsfunktionen vorgedrungen und inszeniert von dort aus seine Angriffe auf die freiheitliche Lebensweise der Gesellschaft.

Was es zu Zeiten Mills noch nicht gab, sich aber der damals schon vertrauten Mechanismen bedient: Die säkulare Erzählung von der globalen Apokalypse, welcher nur durch – Sie haben es geahnt – strengste Freiheitsbeschränkungen begegnet werden kann. Diese Gefahren wiederum werden selbstredend von einer weisen Regierung nicht nur erkannt, natürlich abgesichert durch ein fügsames Heer von Priestern aus der „die Wissenschaft“, sondern sie findet auch die geeigneten  Gegenmaßnahmen zur Rettung, und diese bestehen in unnachgiebigem Zwang und Verboten. Selbst nachdem die gesundheitsschädliche Wirkung der Anti-Corona-Maßnahmen etwa im Schulbetrieb auf Kinder offiziell nachgewiesen und bestätigt ist, wandern diesbezüglich seinerzeit insubordinante Ärzte und Richter mit heute gesprochenen Gerichtsurteilen noch in den Bau.

Mill bestreitet nicht, dass die Abwägung zwischen dem, was an individuellen Verhalten für die Gemeinschaft als hinnehmbar zu gelten hat und wo die Grenze überschritten ist, die ein Verbot rechtfertigt, schwierig ist. Aber diese Schwierigkeit hebt das Prinzip nicht auf, sondern gibt es einer Gesellschaft auf, sich der darin verteidigten Werte – der individuellen Freiheit auf der einen Seite und der Sicherheit und dem inneren Frieden auf der anderen Seite, stets aufs Neue zu vergewissern und das Bewusstsein der Grundlagen unserer Gesellschaft lebendig zu erhalten.

Also, Leute, Klassiker lesen! Hier: John Stuart Mill, Über die Freiheit, 1859.   


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