Die christliche Botschaft – wie sie zustande kam

In den letzten Jahrzehnten hat eine dramatische Austrittswelle beide großen christlichen Konfessionen in Deutschland ergriffen, allein im letzten Jahr haben fast 1 Million Mitglieder der Kirche den Rücken gekehrt, um aller Voraussicht nach nie wieder zu kommen, und ihre Kinder auch nicht. Von einer Krise zu sprechen, ist schon fast zu kurz gegriffen, denn nach einer Krise berappelt man sich und es geht weiter. Hier aber steht man eher vor einer Situation des Untergangs. Ein Zusammenbruch ohne Wiederkehr.  

Die Anlässe der Kirchenaustritte sind oftmals irgendwelche Korruptionsskandale und derzeit vor allem der Umgang mit dem verbreiteten Kindesmissbrauch innerhalb beider Kirchen, besonders der katholischen, und dies bei ihrer insgesamt kontroversen Haltung zu Fragen der Sexualität.

Aber diese Anlässe kratzen vielleicht nur an der Oberfläche. Der tiefere Grund mag darin liegen, dass die sogenannte gute Botschaft, das Evangelium, sowohl vom einfachen Gläubigen als auch – und jetzt wird es dramatisch – vom theologischen Fachpersonal unverstanden ist bis zur vollständigen Unverständlichkeit, und dass die Kernaussagen desselben für unser Bewusstsein eine fast groteske Zumutung darstellen.

Der Prüfstein ist dabei ein ganz einfacher: Das Glaubensbekenntnis. Jeder Christ kann sich prüfen, ob er jeden einzelnen Satz erstens überhaupt versteht in der gemeinten Form, und ob er den Inhalt bekennen kann https://de.wikipedia.org/wiki/Nic%C3%A4no-Konstantinopolitanum )

Das große, zugrundeliegende Problem, an dem die Theologen schon seit mehreren Jahrhunderten knabbern (zumindest die protestantischen, während die katholischen dies erst seit einigen Jahrzehnten tun), besteht darin, dass die Denk- und Erlebniswelt, der Interpretationsraum unseres Weltverständnisses, oder noch anders ausgedrückt: der metaphysische Rahmen unserer Welterfahrung sich dermaßen weit von jenem der Entstehungszeit des Christentums entfernt hat, dass der eigentliche Inhalt des christlichen Glaubens für das moderne Gemüt irgendwo zwischen absurd und unverständlich eingeordnet wird. Man schlägt die Evangelien auf oder die Paulusbriefe und stößt permanent auf Formulierungen, bei denen man nur Bahnhof versteht: „Und er (Jesus) sprach zu einem anderen: Folge mir nach! Der sprach aber: Herr, erlaube mir, dass ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe. Aber Jesus sprach zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben. Du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes!“ (Lk 9, 59f.). Oder: „So gibt es keine Verdammnis für die, die in Jesus Christus sind. Denn das Gesetz des Geistes, der lebendig macht in Christus Jesus, hat dich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes. Denn was dem Gesetz unmöglich war, weil es durch das Fleisch geschwächt war, das tat Gott etc.“ (Röm 8,1-3).

Wer es beim Unverständnis nicht bewenden lassen und verstehen will, was es mit den Texten der Bibel auf sich hat, der hat keine leichte Aufgabe vor sich und wird so manche Überraschung erleben. Und um es gleich vorwegzunehmen: Eine Reihe von Unklarheiten über die Verkündigung bestehen bis zum heutigen Tag und sind weiterhin Anlass für theologische Auseinandersetzungen.

Der Inhalt des christlichen Glaubens geht bekanntlich auf die Predigt und Taten des jüdischen Wanderpredigers Jesus zurück, der kurz nach seinem Tod zur Zentralfigur eines gewaltigen mythologischen Endzeitdramas erhoben wurde.

Jesus selbst war Jude und richtete alle seine Bestrebungen ausschließlich auf Mitglieder des jüdischen Volkes, die mit den Lehren und Gesetzen des jüdischen Glaubens bestens vertraut waren.

Die jüdische Religion hatte in ihrer knapp anderthalbtausendjährigen Geschichte bis dahin schon einige Transformationen und Entwicklungen erlebt. Der Kern dieser Religion besteht im Glauben an den EINEN Gott (Monotheismus), welcher zugleich der einzige ist (im Unterschied zu den umgebenden Religionen, welche jeweils die Existenz anderer Gottheiten zugestanden und hinnahmen). Dieser Gott Jahwe hatte in grauer Vorzeit mit Abraham einen Bund geschlossen und ihn zum Stammvater eines zukünftigen großen Volkes erkoren, jenes Volkes Israel, das von Jahwe ins verheißene Land geführt worden und dort zu Pracht und Entfaltung gebracht werden sollte, und alle Völker der Erde würden sich langfristig der Herrschaft Jahwes unterwerfen. Das war die Verheißung, aber zur Zeit von Jesus lebte das jüdische Volk im Gelobten Land bereits über ein halbes Jahrtausend lang unter wechselnder Fremdherrschaft, damals unter der der Römer. Innerhalb des Judentums hatte sich seit ca. 200 Jahren eine apokalyptische Bewegung (vermutlich persischen Ursprungs) entwickelt und ausgebreitet, welche – der mosaischen Religion zuvor unbekannt – das bevorstehende Ende der Geschichte mit Auferstehung der Toten und Gottes Endgericht beschwor. Besonders die jüdische Partei der Essener lebte in der Erwartung des nahen Endes, ebenso wie der wüstenwandernde Prophet Johannes, welcher Jesus im Jordan taufte. Dieser war in der Folgezeit ebenfalls ein Prediger des unmittelbar bevorstehenden Endes.

Hier kommt der erste entscheidende Punkt:

Im Unterschied zu Johannes dem Täufer, der nur das kommende Strafgericht angekündigt hatte, verkündete Jesus (und das ist die sogenannte „Botschaft Jesu“) das Nahen, das Anbrechen des Reichs Gottes (auch: Königsherrschaft Gottes oder Himmelreich). Gemeint ist eine historische, kurze Endphase der Geschichte bis zum Tag des Gerichts, an dem Jahwe die volle Herrschaft über das irdische Geschehen übernimmt, und in der sich die Verworfenen von den Erwählten scheiden. Das Gericht überstehen werden diejenigen, welche erstens getauft wurden und damit aller bisherigen Sünden entledigt sind und die zweitens ihr gesamtes Tun und Trachten bis zum Ende ausschließlich auf die Unterwerfung unter Gottes Willen ausrichten, welches da ist die Liebe zu Gott und zum Nächsten. DAS ist die Eintrittskarte ins ewige Leben und der Schlüssel zum Überstehen des Jüngsten Tags. Nur von hier aus werden die absurd scheinenden ethischen Forderungen Jesu verständlich, die rechte Backe hinzuhalten, den Rock zu lassen, nicht zu urteilen, nicht für den nächsten Tag zu sorgen und die Feinde zu lieben, um nämlich vollkommen zu sein wie der Vater (Gott) (Mt 5, 48). Jesu Ethik ist also komplett auf die Erwartung des kurz bevorstehenden Endes der Zeiten orientiert (sog. Naherwartung). Gleiches gilt für die Seligpreisungen, welche keine Aufforderungen zum Handeln darstellen noch moralische Bewertungen, sondern bloß ankündigen, was die Geplagten der Erde in Kürze erwartet, wenn das Reich Gottes zu voller Blüte gelangt ist.

Es ist ein Spezifikum der religiösen Sphäre, dass physische Realität, Wunsch und Vision in einer hochgradig aufgeladenen Spannung miteinander verschmelzen zu einem unauflösbaren Ganzen, welches für den religiös Ergriffenen höchste Realität besitzt und dabei ungreifbar bleibt. Was es mit dem „Reich Gottes“ genau auf sich hat oder haben sollte, welches durch den Messias eingeläutet wird, zu dem die folgenden Christen Jesus erklärt haben, bleibt bis auf unsere Tage auch unter Theologen umstritten und letzten Endes ungeklärt. Es ist verblieben im Zustand des Anbrechens und des Naheseins. Einig ist man sich auch unter Christen, dass es in der erwarteten Form nicht gekommen ist.

Jesus sandte seine Jünger aus nur! unter die Juden, um dort, inspiriert durch den Heiligen Geist, dort zu missionieren, Krankheiten zu heilen und Dämonen auszutreiben, welche die Welt beherrschen, und um zur Umkehr aufzurufen um bereit zu  sein für das anbrechende Reich Gottes (welches übrigens auch im Vaterunser erfleht wird).

Und hier geht es weiter:

Sein eigener Tod stürzte alle in Verwirrung und verlangte nach einer Deutung, wobei sich diejenige der Deutung seines Todes als Sühneopfer des Gottessohns für die Sünden der Menschheit seit Adam durchsetzte. Jesus, welchem in Erscheinungen nach seiner Hinrichtung mehrfach wieder begegnet worden und als auferstanden anerkannt war, wurde als der Messias (Christus) und Sohn Gottes etabliert. Dieser war nach der Lesart des Paulus „für unsere Sünden gestorben“, und hatte damit die Menschen von der Last der Erbsünde befreit. Durch seine eigene Auferstehung und anschließende Himmelfahrt war er den an ihn Glaubenden den Weg ins ewige Leben vorangegangen.

Eben dieser Paulus, der Jesus persönlich nie begegnet war aber kurz nach dessen Tod in einer Vision zu ihm bekehrt wurde, begann eine fieberhafte Missionstätigkeit unter den Heiden, sprich im hellenistischen Kulturraum. Dort verfestigte sich die Vorstellung vom Glauben an Jesus den Christus als Schlüssel zum Ewigen Leben und sehr schnell bildeten sich die Formeln von Christus als menschgewordenem Gott, Erlöser und Weltenrichter (was vom Schöpfer auf ihn übertragen wurde). Das ursprünglich rein apokalyptisch und auf die persönliche Rettung bezogene Liebesgebot, als Gehorsamstat gegen Gott und Verzicht auf jeglichen Eigenwillen, transformierte sich im Raum der hellenistischen Kultur mit ihrer philosophischen Prägung in eine Art rationales Sittengesetz. Der Gott wurde von einer rein religiösen Bezugsgröße zum philosophisch gedachten Herrn des Kosmos, wie ihn die Stoiker und andere griechische Denktraditionen bereits gefasst hatten.

Mit dem Austritt aus dem rein jüdischen Raum gaben die Missionare und Gemeindegründer eine ganze Reihe von zentralen Gehalten des Judentums auf: So den Bezug zum auserwählten Volk Israel, das gesamte Gesetz der Tora bis auf die Zehn Gebote, die Beschneidung, sämtliche Feste mit Bezug auf die Geschichte Israels (bzw. statteten sie mit neuem Sinn aus Passah – Ostern), den Tempelkult mit den Brandopfern und etliches andere. Gleichzeitig führten sie Neues ein wie die spezifische Ausprägung des Taufrituals, neue Form der Sünde und Buße, das Abendmahl, neue Festtage  und natürlich die zentrale Figur Jesus Christus als Erlöser, Retter und Richter. Durch dessen Predigt war die Vorstellung Gottes drastisch transformiert worden vom alttestamentarischen Gott des Gesetzes zu einem Gott, der, obwohl am Ende der Tage Richter, die Liebe in vollkommener Reinheit repräsentiert und der die einzelne Seele aus dem irdischen Jammertal vermittels der Gnade ins ewige Leben zu sich und seinem Sohn Jesus den Christus holt, sofern sie vom reinen Glauben durchdrungen war.

Das frühe Christentum organisierte sich erstaunlich schnell in feste Formen und Formeln, mit Gebeten, Ämtern, Festen, Glaubensartikeln und so entwickelte sich ziemlich bald eine relativ geschlossen organisierte Kirche, deren Vertreter sich auf  Synoden (Bischofsversammlungen) koordinierten. Auf dem Weg entwickelte das Christentum Strukturen ähnlich denen der damaligen Mysterienkulte mit ihren magischen Handlungen und Formeln. Der Polytheismus mit seinen lokalen und fachspezifischen Zuständigkeiten fand Einzug in Form von Heiligen, auch das weibliche Element fand als Maria Berücksichtigung im Himmel.

In dieser sehr kurzen und groben Skizze ist dargestellt, wie in recht kurzer Zeit die christliche Botschaft, das Evangelium in einem Transformationsprozess aus dem Judentum heraus entstand und eine für damalige Verhältnisse neue Auffassung von Gott zusammen mit einem Tor ins ewige Leben definiert wurde. Die damals entwickelten Glaubensinhalte sind bis zum heutigen Tag gültig, dabei verfeinert und erweitert worden, aber ihr Offenbarungscharakter ist unantastbar geblieben.

Es ist wichtig, sich klar zu machen, dass die damaligen Menschen über die alltägliche Lebenswelt hinaus kein theoretisches Konzept von der Welt als ganzer hatten, so wie es zunächst in der Philosophie und später durch die empirische Wissenschaft entwickelt wurde und sich aus gebildeten Kreisen nach und nach im allgemeinen Bewusstsein verbreitete. Vielmehr trafen religiöse Botschaften auf Menschen ohne ein Konzept von Naturgesetzlichkeit im modernen Sinne. Für diese Menschen gehörten Wunder, Dämonen, Engel, Zauberei etc. völlig selbstverständlich ins Reich des Wirklichen.

(Damit kehre ich zu dem eingangs Gesagten zurück).

Der heutige Christ dagegen ist stets schon geprimed durch metaphysische Vorannahmen der sogenannten wissenschaftlich-aufgeklärten Weltsicht, aus der er so gut wie nicht herauskommt. Auch meine kurze Erzählung vom frühen Christentum ist aus dieser Sicht heraus gezeichnet.

Das Dramatische ist nun, dass die zentralen Inhalte des christlichen Glaubens – Erlösung, Gnade, Auferstehung, ewiges Leben, etc. aus dem herausfallen, was für uns überhaupt als Realität in Betracht kommt. Zur Zeit der Reformation hatte es schon geknirscht an den Baustellen der Sakramente und der Transsubstantiationslehre: die Magie der Transsubstantiation war für die Reformatoren in der praktizierten Form nicht mehr hinnehmbar. Heute jedoch gilt das für so gut wie das komplette Programm der christlichen Verkündigung. Wer den Katechismus der Katholischen Kirche aufschlägt und durchgeht, der kann einen Schreck bekommen. Noch vor 150 Jahren war das ganz anders.

In dieser Situation ist es für viele Christen und auch Pfarrer verführerisch, sich einen eigenen Christus zu basteln, zum Beispiel einen Gutmenschen aus Milde und Nachsicht, die Glaubensinhalte nach Bedarf oder aus blanker Hilflosigkeit ins Symbolische zu verschieben und selbst beim Tod im Kontext der biblischen Texte nur noch einen bildhaften Tod zu nehmen, nicht den physischen.

Ob die christliche Botschaft, das Evangelium, gerettet und weitergetragen werden kann, halte ich für höchst zweifelhaft. Eine zeitgenössische Predigt anzuhören, ist jedoch in den meisten Fällen hochgradig schmerzhaft.    


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