Wenn es nach der historischen Bilanz ginge, nach der Anzahl der Leichen, dem Ausmaß des Leidens, welche diese Ideologie über Menschen und Völker gebracht hat, so müsste der Sozialismus mitsamt der daran angeschlossenen Utopie des vollendeten Kommunismus längst im Orkus der Geschichte gelandet sein, und der Damnatio memoriae übergeben.
Zwar ist der Kommunismus die extremste Ausdrucksform linken Denkens, aber er stellt, wenn auch nur noch selten ausgesprochen, so etwas wie einen „natürlichen“ Fluchtpunkt, ein leitendes Irrlicht in der linken Mentalität dar.
Im Weiteren geht es allerdings um die linke Mentalität insgesamt, nicht nur um den Kommunismus. Was ist das Spezifische des linken Denkens, und was ist dessen Gegenpol?
Im Sinne der politischen Lager steht dem Linken sowohl der Liberale als auch der Konservative gegenüber. Die Opposition ist dabei eine Fundamentale, denn die linke Haltung wurzelt tief im irrational-Vorpolitischen. Vor aller politischen Theorie und Formulierung ist da eine Grundhaltung, ein Lebensgefühl, eine Mentalität, die im Konzept des Kommunismus vielleicht ihre erste und stärkste Ausformulierung erhalten hat.
Die Keime der Ausformulierung jener Mentalitäten, die sich später in politische Lager entwickelt haben, liegen in der Zeit der Aufklärung, im 18.Jhd. und teilweise schon davor. Als der direkte Gegenspieler der kommunistischen Mentalität – und das gilt erst recht für die heutige Zeit nach dem Untergang der absolutistischen Monarchien – zeigt sich hier der Liberalismus. In diesen Lagern entfaltet sich jenseits konkreter Herrschaftsformen die Dichotomie zwischen zwei Lebensentwürfen, zwei Grundpositionen, zwei Interpretationen der conditio humana, die sich gleichsam metaphysisch unversöhnlich gegenüberstehen, weil in ihnen Vorstellungen über Wesen und Sinnerfüllung menschlicher Existenz wirksam sind. Damit sind sie nicht mehr diskutabel oder relativierbar.
Um das Spezifische der linken Mentalität deutlich zu machen, scheint es angebracht, zunächst dessen Gegner darzustellen, nicht zuletzt, weil die Daseinsform des Linken sich permanent in einem „Kampf gegen…“ manifestiert.
Im klassischen Liberalismus, beginnend mit John Locke (nicht zu verwechseln mit dem englisch auszusprechenden Begriff „liberal“ in der aktuellen US-Öffentlichkeit, wo er nämlich links/sozialistisch bedeutet), steht das Individuum im Zentrum, am Ausgangspunkt. Das Anrecht auf Besitz ist ihm bereits naturrechtlich, also vorstaatlich, zugesprochen, und die Gesellschaft/der Staat, zu dem sich die Individuen freiwillig zusammenschließen, hat die hinzutretende Funktion, das freie und ungestörte Wirtschaften sicherzustellen. Staatlichkeit ist beschränkt auf den Schutz der Sicherheit nach innen und nach außen, also gegen Krieg, Kriminalität und Rechtssicherheit im wirtschaftlichen Verkehr. Kennzeichen dieses Selbstverständnisses ist die oberste Priorität von Freiheit und Selbstbestimmung, die einhergehen mit einem hohen Maß an Verantwortung, und zwar sowohl für sich selbst als auch für das Wohlergehen des Gemeinwesens – des GemeinWESENS wohlgemerkt, aber nicht primär für die Wohlfahrt anderer Bürger! Die Gesellschaft mit all ihren Kräften, Bedingtheiten und Einflussgrößen ist für den Liberalen nur ein Faktor unter anderen in seinem Leben, in dem die eigene Antwort auf die Herausforderungen des Daseins als vorrangig betrachtet wird. Bei der Bestimmung und der Verfolgung von Zielen und dem Ergreifen von Chancen liegt der Schwerpunkt auf der Eigenverantwortung, die Kategorie der Erwartungen und Ansprüche ist wenig bis gar nicht im Blick. Die Gesellschaft ist nur ein Umfeld unter mehreren, und das Gelingen des Lebens wird nicht gleichgesetzt mit dem Erfolg im Ergattern von Gütern und Positionen, welche innerhalb der Gesellschaft geboten sind.
Die linke Mentalität ist demgegenüber anders orientiert. Es gibt einen zentralen Unterschied zur liberalen Auffassung, und alle weiteren Unterschiede leiten sich daraus ab. Man kann auch sagen: Linkes Denken kann von diesem Kerngedanken aus in alle Bereiche hinein konstruiert werden.
Dieser Kerngedanke, der mehr ein Weltgefühl ist als ein theoretisches Konzept, besteht in Folgendem:
Die Gesellschaft bezeichnet die allumfassende, die gesamte relevante Sphäre, in der menschliches Dasein sich entfaltet und verwirklicht. Der gesellschaftliche Raum ist für das Gelingen des eigenen Lebens der alleinige Bezugsrahmen. Glück und Unglück, Erfolg oder Scheitern, Erfüllung oder Sinnlosigkeit – all dies geschieht und verwirklicht sich in der Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Gegebenheiten und Umständen, in dem das individuelle Leben sich abspielt. Nulla salus extra societate.
Ein entscheidender, grundsätzlicher Unterschied zur liberalen Auffassung besteht also darin, dass das Umfeld hier komplett menschengemacht ist. Für den Liberalen ist der äußerste Bezugsrahmen seiner Existenz die Welt schlechthin, das Universum, die gegebene Natur, und nicht zuletzt das unbeeinflussbare Schicksal, gestiftet durch Gott oder auch nicht.
Die Umwelt des Linken ist in seiner Vorstellung dagegen komplett menschengemacht. Als solche wird sie von ihm interpretiert und erlebt. Ob die Verteilung der Güter oder der Zugang zu Chancen und Positionen, überall trifft er auf Strukturen, die aufgrund von Entscheidungen von anderen Menschen bestehen. Menschen, denen es vielleicht vorrangig um ihren eigenen Vorteil und ihre eigene Macht zu tun ist, anstatt um Gerechtigkeit. Aus dieser Perspektive wird Ungleichheit direkt zu einer Ungerechtigkeit, die nach Abhilfe und Ausgleich ruft. In einer Welt, deren Strukturen ausschließlich von Menschen gemacht sind, kann an jeder Stelle die Berufung auf das Prinzip der Fairness ansetzen. Die Abschaffung der Ungleichheit wird zum Anspruch. Die daraus ableitbaren Ansprüche sind natürlich ein Fass ohne Boden und verweigern jegliche Anerkennung von Naturgegebenheit.
Um nur ein Beispiel anzuführen: In der Soziologie/Psychologie/Pädagogik tobt seit bald über 100 Jahren ein Kampf um das Thema Nature vs. Nurture – Angeboren oder Umwelt. Völlig vorhersehbar steht die Linke auf der Seite jener, welche den ganz überwiegenden, wenn nicht ausschließlichen Einfluss der Umwelt auf die Entwicklung der Individuen postulieren. Dadurch rücken die Ausstattung und Beschaffenheit des Einzelnen in den Gestaltungsbereich des Menschen/“der Gesellschaft“, und es gibt dann jemanden, bzw. menschengemachte Strukturen, die gegebenenfalls schuld ist an Scheitern Einzelner. In den linken Vorstellungen über Straftäter stellt sich dies zum Beispiel dar („Gesellschaft hat Schuld.“ „Sozial benachteiligt“).
Wo alles den geschaffenen Strukturen zugeschrieben ist, wird konsequenterweise die Naturgegebenheit von Unterschieden tendenziell oder sogar komplett geleugnet. Das jüngste Theater um Transsexuelle repräsentiert genau diese Mentalität. Sogar das biologische Geschlecht wird hier als „konstruiert“ und damit als veränderbar aufgefasst. An anderer Stelle wird wiederum die Existenz von „Talent“ bestritten, mit den abenteuerlichsten, selbstverständlich „wissenschaftlich“ untermauerten Theorien und Begründungsversuchen. Ebenso ist jede Art von Gleichstellungspolitik hierdurch inspiriert, und so kann man noch lange weitere Felder aufzählen, die alle nach demselben Schema operieren. In der Sowjetunion gab es sogar den sogenannten Lyssenkoismus, eine vollkommen irrige Theorie zum Ackerbau. Die Partei hat diese Lehre seinerzeit zur Doktrin erhoben. Ihr zufolge es so gibt es so etwas wie Gene nicht, sondern erworbene Eigenschaften können vererbt werden.
Man kann leicht zeigen, wie dieses Denken dem Marxismus verpflichtet ist, bzw. wie umgekehrt der Marxismus dieses Denken voraussetzt, um seine Versprechen mit Glaubwürdigkeit auszustatten. Aber man muss gar nicht so weit gehen und ein kommunistisches Paradies anstreben.
Hier geht es nur darum, linke Mentalität zu beschreiben. Aus dieser Perspektive wird nämlich deutlich, weshalb im linken Universum die Themen Macht und Mächtige, Arm und Reich und Gerechtigkeit als Gleichheit so obsessiv im Fokus stehen. Denn als Linkem ist das eigene Lebensglück stets davon abhängig oder beschränkt, was Reiche/Mächtige in der Gesellschaft zulassen und diese einrichten. Da linkes, kommunistisches Denken schon in seinen Anfängen, nämlich ein halbes Jahrhundert vor Marx, dezidiert atheistisch-materialistisch und damit hedonistisch verfasst war, spielt die Ausrichtung auf Besitztum eine große Rolle. Doch auch hier wird wieder ganz im Sinne der Gesellschaftsimmanenz unterschiedlicher Reichtum nicht erfasst als das Ergebnis verschieden erfolgreicher Wertschöpfung (wie im Liberalismus), sondern stets als Ergebnis von Ausbeutung („wär ich nicht arm, wärst du nicht reich“ etc.)
Man kann mit dieser Analyse ausgestattet das gesamte Repertoire linken Denkens durchstöbern und abklappern und wird mit eiserner Zuverlässigkeit stets auf diesen Grundgedanken stoßen, dass alles, was die äußeren, und teilweise sogar die inneren Umstände unseres Lebens betrifft sowie der gesamte Raum unserer Chancen und Güter menschengemacht sind. Damit wird alles zu einer sozialen Frage („das Private ist politisch“) und alles ist veränderbar und fordert auf zur Veränderung im Namen der Gerechtigkeit.
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