Das Christentum hat in unseren Gefilden fertig! – und der evangelische Kirchentag ist wieder (!) einmal ein peinlich-trauriger Beleg dafür. Allein die Veranstaltungsverzeichnisse der letzten drei Kirchentage in Dortmund, Nürnberg und Hannover offenbaren ein Bild des Grauens. Von Vulvamalen bis Queere Tiere auf der Arche war alles dabei, was das bunte woke LGBTQ+ Herz begehrt. In Sachen Theologie sah es dagegen deutlich schwächer aus. Auffällig ist, dass sich trotz der massiven Kritik im Inneren sowie Hohn und Spott von außen an der Grundtendenz nichts zu ändern scheint. Vermutung: Die können gar nicht mehr anders.
Der tiefere Grund ist ohne Zweifel tragisch: Die Christen verlieren den Anschluss an ihren Glauben. Also an den echten. Und dies in rasendem Tempo. Dabei hat die evangelische Kirche vielleicht sogar noch eine halbe Generation Vorsprung, aber die katholische holt in rasantem Tempo auf. Der evangelischen Kirche gingen in den letzten 20 Jahren 30% der Mitglieder verloren. Allein im letzten Jahr traten 350.000 Mitglieder aus, also 1000 pro Tag. Und sie werden nicht mehr ersetzt. Man kann ohne Übertreibung davon sprechen, dass der christliche Glaube in Deutschland (wie im Westen überhaupt) im Absterben begriffen ist. Auch wenn sich wohl ein paar Restbestände erhalten werden, den Charakter als Volkskirche, als kulturell verbindende Unterlage der Gesellschaft hat das Christentum unwiederbringlich verloren und ist dabei, in den Status einer Randerscheinung abzustürzen. Aber das sind bloß die Zahlen.
Was den Inhalt betrifft, so tritt immer deutlicher zutage, dass für gegenwärtige Menschen das Denken, die Weltanschauung, in der das Christentum gegründet ist und außerhalb deren es komplett unverständlich bleiben muss, in so weite Ferne gerückt ist, dass es auch für das Personal der Kirche selbst kaum noch nachvollziehbar und erlebbar ist.
Im christlichen Denken sind wir Menschen eingebunden in ein geschichts- und jenseitsumfassendes mythisches Drama: In das Drama von Erbsünde, Erlösung durch Jesus Christus (= Messias), kommender Herrschaft Gottes bis zur Wiederkehr des Menschensohns zum Weltgericht. In diesem Drama gehen Geschichte und Mythos in eins. Jeder einzelne Christ ist bis über den Tod hinaus darin eingebunden, eingeleitet und wiederkehrend versichert durch mysterienkultische Rituale der Taufe und des Abendmahls, in denen Gott unmittelbar wirksam wird. Doch diese Sprache und das darin zugrundeliegende Denken sind unzugänglich und unverständlich geworden. Einst waren diese konkurrenzlos, doch ist mittlerweile in den Köpfen die Vorstellung weit tiefer verwurzelt, dass wir in einer Welt leben, die rein durch Kausalität und Zufall regiert wird, und deren institutioneller Hort der Wahrheit eine „die Wissenschaft“ ist, welche die entsprechenden Erkenntnisse hervorbringt und verbürgt. Beide Erzählungen sind miteinander nicht kompatibel.
Der Bruch zwischen beiden Weltanschauungen ist seit langem spürbar. Die Reformation war die erste Reaktion auf ein neu aufkeimendes Weltgefühl, nämlich dasjenige der Neuzeit, aber im Protestantismus ging es in Auseinandersetzung mit der Aufklärung immer weiter: Die Versuche, die christliche Botschaft in das moderne Weltbild hinein zu retten, wurden dabei umso kühner, je radikaler die Kritik wurde. Wurde im 18. Jhd. Religionskritik noch als Kritik an gewissen Dogmen geübt, geriet spätestens mit Feuerbach Religion als ganze in die Kritik – um als ganze verworfen zu werden. Heute sind wir an einem Punkt angelangt, an dem es regelrecht für aufgeklärt gilt, für die Religion nur Hohn und Spott übrig zu haben, und für Gläubige bestenfalls eine mitleidige Herablassung aufzubringen. Dabei wird oft kein Unterschied mehr gemacht zwischen Religion überhaupt, dem christlichen Dogma und der Kirche als Institution. Alles ist gleichermaßen der Verachtung preisgegeben. Die zahllosen, oft vollkommen geschmacklosen „Witze“ über Jesus am Kreuz und die Auferstehung, die um Ostern durch die Sozialen Medien geisterten, sprechen eine deutliche Sprache. Auch mit dem dümmsten und zynischsten Herumtrampeln auf anderer Leute Glaubensinhalten rechnet man noch mit ein paar billigen Lachern.
Für diejenigen, die trotz kritischer Einstellung die Sache etwas differenzierter betrachten, gibt es sehr wohl Anlass zu Spott und auch Zorn, wenn man das Treiben der Kirchenvertreter in Augenschein nimmt. Aber es ist eben nicht das Christentum, das sich hier lächerlich macht, sondern es wird von Leuten zu einer Farce entstellt, bei denen der Faden gerissen ist, oder die ihn vielleicht nie gefunden hatten, sich aber dennoch zu ihrem Vertreter aufgeschwungen haben.
Dass die christlichen Dogmen, das mythologische Drama der Endzeit, in der wir nach dem Evangelium stehen, für uns nicht mehr erlebbar sind, das entwertet sie nicht, und das macht sie auch nicht unwahr im Sinne ihrer immanenten Wahrheit. Unsere gesamte Gesellschaft beginnt den christlichen Glauben in der Form „von außen“ zu sehen, wie die Homerische Götterwelt oder die Mysterienkulte der Kybele oder des Mithras im Römischen Reich.
Und doch habe ich ein Plädoyer: Wir Nachgeborenen, wir Entchristianisierten, haben Grund, dieses Erbe dennoch in Ehren zu halten, denn es ist unsere Vergangenheit, es sind unsere kulturellen Wurzeln, um die es geht. Der Kampf gegen die Zumutungen des Dogmas an den modernen Geist, der in der Aufklärung begonnen wurde und der Nietzsche ein Leben lang im Bann hielt, kann man als weitgehend beendet betrachten. Ein Nachtreten ist weder erforderlich oder Ausweis von Heldenhaftigkeit.
Damit sollen die Zumutungen der gegenwärtigen Kirchenvertreter nicht aus der Schusslinie genommen werden, denn gerade in ihrer Person wird das Christentum oft regelrecht verhöhnt, wenn auch unfreiwillig, aber dennoch ärgerlich.
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