Naturwissenschaft scheitert an der Frage des Ursprungs

Die neuzeitliche Naturwissenschaft ist im 17. Jhd. angetreten mit der Erwartung und dem Versprechen, letztlich alle Fragen der empirischen Welt zumindest prinzipiell beantworten zu können. Die Überzeugung ist immer noch verbreitet, dass der Erklärungskraft der Naturwissenschaft grundsätzlich keine Grenzen gesetzt sind, und dass eine nicht beantwortete Frage entweder nur vorläufig nicht beantwortet ist, also „noch nicht“, oder aber, dass rein technische Hindernisse eine Beantwortung verhindern.

Dieser Optimismus ist allerdings ungerechtfertigt. Es gibt mindestens eine Kategorie von Fragen, welche für die Naturwissenschaft unerreichbar ist. Das zeigt nicht nur die über 300-jährige Geschichte der empirischen Naturwissenschaft, sondern auch eine Strukturbetrachtung der naturwissenschaftlichen Methode.

In ihrer Kerndisziplin, der Physik, beschreibt die Naturwissenschaft die Strukturen der materiellen Welt (Naturgesetze) in Form von mathematischen Gleichungen. Eine physikalische Gleichung kann gelesen werden als eine Wenn-Dann-Relation, und zwar (bis auf spezielle Ausnahmen) in beide Richtungen. Als weitere Lesart kann man darin eine Handlungsanleitung erblicken, oder die Grundbestandteile von Bauplänen menschlichen Handwerks. Stets funktioniert dies nach dem Muster: für eine physikalische Gleichung A = B gilt: Wenn du B willst, stelle Situation A her oder umgekehrt. Es spielt in dem Zusammenhang keine Rolle, ob der Physiker hier mit dem Begriff Kausalität operiert oder sich auf das bloße Beschreiben beschränkt. Im allgemeinen Umgang mit der Welt wird man allerdings auf die Kategorie der Ursache, der Kausalität nicht verzichten.

Es zeigt sich, dass der Wenn-dann-Schematismus der Naturgesetzlichkeit mit dem Phänomen des Ursprungs seine Grenze findet. Ursprung bezeichnet die Entstehung, den Beginn von etwas kategorial Neuem, was in einer Gleichung, einer Wenn-Dann-Relation nicht darstellbar ist.

Ursprungsfragen  gibt es innerhalb der Wissenschaft zahllose: Die Frage nach dem Ursprung des Universums, der Naturgesetze, der Materie/Energie, des Lebens, des Bewusstseins, der Sprache etc. und natürlich im Bereich des Lebendigen der Ursprung jeder einzelnen Spezies und Funktion im Organismus, zum Beispiel  Blutkreislauf, Sehorgan, Verdauungsapparat, Flügel, Lungenatmung etc.

Im Laufe der Zeit haben sich innerhalb der Naturwissenschaft drei Strategien herausgebildet, mit der Problematik umzugehen:

  • Es werden verschiedene Hypothesen erprobt, die zwar alle scheitern, aber mit dem positiven Resümee beschieden worden, es gebe vielversprechende Ansätze, aber die Sache sei noch nicht ganz geklärt. Derweil legt man die Frage auf Eis.
  • Emergenz: Es wird die Behauptung aufgestellt, eine bestimmte Ebene oder ein System bei genügender Komplexität eine neue, aus dem Zugrundeliegenden nicht ableitbare Qualität hervorbringen. Etwa Leben aus der Reaktion organischer Stoffe oder Bewusstsein aus den physikalischen Prozessen in einem Gehirn oder einem Computer. WIE dies allerdings vor sich geht, ist prinzipiell nicht erklärbar.
  • Die dritte Variante besteht in dem Versuch, das Neue als eine Transformation des Alten zu begreifen, und es damit als Neues wegzudefinieren. Qualitative Unterschiede werden dabei auf quantitative, graduelle reduziert. Besonders in der Evolutionstheorie wird mit dieser Vorgehensweise gearbeitet. So sei der Unterschied zwischen dem Schrei eines Pavians und der menschlichen Sprache nur ein gradueller, ebenso wie in letzter Konsequenz auch der Unterschied zwischen einem Fisch und einer Hyäne, denn letztere ist „prinzipiell“ und graduell aus einem Vertreter der Fische hervorgegangen. Aus diesem Grund hat sich auch in der Biologie die Tendenz verstärkt, einen kategorialen Unterschied zwischen Menschen und Tieren zu bestreiten.

In diesem Bereich kommen ontologische Fragen ins Spiel, die an dieser Stelle nicht diskutiert werden sollen, daher nur so viel: Spätestens bei den großen Fragen nach dem Ursprung des Kosmos, des Lebens, des Bewusstseins ist es mit der Übergangsperspektive vorbei, Ursprung muss als solcher anerkannt werden.

Und hier zeigt sich, dass der naturwissenschaftliche Zugriff hier auf seine strukturellen Grenzen stößt, denn: Etwas anderes als eine Wenn-Dann-Geschichte hat Naturwissenschaft gar nicht anzubieten.

Anders ausgedrückt: Das Nicht-Wissen, das Nicht-Erklären-Können von Ursprung ist kein Einzelfall, sondern prinzipieller Art. Es ist kein Scheitern im Sinne einer Minderleistung oder eines Noch-Nicht, sondern die Feststellung methodischer Grenzen, von Grenzen der Reichweite. Naturwissenschaft hat eben doch nicht die Kompetenz der allumfassenden Aufklärung des Universums, oder auch nur des für uns Erreichbaren.

Die Frage nach dem Ursprung hat die Eigenschaft, dass sie zwar unbeantwortbar ist, sich aber nicht komplett abweisen lässt. Die Alten haben dafür eine Form geschaffen, deren Sprache heute weitgehend unverständlich geworden ist und von manchen sogar verlacht wird: den Mythos.

Im Mythos werden Antworten gegeben auf die Ursprungsfragen, und zwar in Form von Geschichten und Bildern, welche die Handlungen von Wesen und Kräften darstellen. Ort und Zeit der darin erzählten Ereignisse ist nicht historischer Natur, so dass man ein Datum dafür angeben kann (die jüdische Angabe des Jahres 3760 BCE für die Schöpfung macht hier aus dem Mythos ein historisch konkretes Ereignis). Vielmehr geht die historische Zeit irgendwie in die mythische Raumzeit über, und dabei wird es belassen.

Meine These ist, dass die alten Völker intuitiv gespürt haben, dass Fragen wie die nach dem Ursprung des Menschen in aller direkten Konkretheit gar nicht gestellt, sondern nur beruhigt werden können. Die Erzählungen (e.g. aus Lehm geformt, Odem eingehaucht) sind so denkbar simpel, so dass ihr Charakter offensichtlich ist. Das Aufkommen einer parallelen Weltbeschreibung durch die rationale Wissenschaft stiftete viel Verwirrung und Missverständnis. Die einen dachten, man könne beides zusammenführen, während die anderen das Mythische für schlicht dumm hielten. Beide liegen daneben.

Letzte Anmerkung: Es hat etwas Absurdes, zu versuchen, mit den Mitteln, die das Bewusstsein uns zur Verfügung stellt,  die Entstehung eben dieses Bewusstseins selbst aus Nicht-Bewusstsein zu rekonstruieren. Die Absurdität dieses Unterfangens muss man erst einmal vollends zum Bewusstsein kommen lassen, um dann zu sehen, dass dieses Unternehmen tatsächlich empirisch komplett scheitert.   


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