Über das Aporetische des Christentums

Wenn ich im Auto sitze oder an der Kasse warten muss, verfalle ich zuweilen in fiktive Gesprächssituationen und das kann dann so aussehen:

„Andreas, was ist eigentlich dein Verhältnis zum Christentum insgesamt?“

Meine Antwort wäre etwa so:

„Aua. Das ist eine Frage, der ich fast geneigt bin, aus dem Weg zu gehen, weil sie mich in Aporien führt. Und ich fürchte sogar, diese Aporie werde ich mit ins Grab nehmen. Es gibt keine Lösung.“

Aporien sind nichts Ungewöhnliches. Manche sind einfach zu verwerfen, weil unsinnig, wie etwa das Theodizee-Problem, andere überschreiten den menschlichen Verstand, wie das Leib-Seele-Problem oder die Frage, ob die Zeit einen Anfang hat. Und dann gibt es auch Aporien, die sind im Raum der Historie angesiedelt, verlangen dort eine Stellungnahme, bleibt aber hin und hergerissen, während man spürt, dass hier nicht das mangelnde Wissen die Entscheidung verzögert, weil alles längst auf dem Tisch liegt, sondern der Konflikt nicht aufzuheben ist.

Also jetzt zur Sache:

Die eine Seite ist, dass das Christentum vom Inhalt betrachtet unwahr ist. Die Vorstellung, dass das Endgericht kommt, es eine Auferstehung von den Toten gibt, dass mit dem Glauben an den auferstandenen Christus das ewige Leben erreicht wird, dass da ein Heiliger Geist existiert als Teil eines trinitarisch verfassten Gottes usw.  Das ist unwahr.

Die Idee, dass bedingungslose Nächstenliebe eine gute Idee wäre, welche der Lebenserfahrung zu entnehmen ist, wäre völlig abwegig. Oder der Satz „Sie säen nicht, sie ernten nicht, und der himmlische Vater ernährt sie doch.“ Wer kann das denn verantworten, wenn er Kinder hat?

Die sogenannte „Botschaft“ Jesu ist in einem historisch-mythologischen Endzeit-Drama angesiedelt, aber das wollen die Deuter (von Ausnahmen abgesehen) nicht mehr wahrhaben.

Und jetzt muss die andere Seite zu Wort kommen:

Das Christentum ist neben der antiken griechisch-römischen Kultur die andere tragende kulturelle Säule des Abendlands. Es ist eine Quelle der Einigkeit, eine kulturelle Klammer, was Konstantin und Theodosius intuitiv erkannt hatten. Die Religion eröffnet einen Raum der Transzendenz, der über die profane Sphäre von Wirtschaft und Politik hinausgeht, der Sinn vermittelt, der mit dem Tod, der Sterblichkeit versöhnt, der Moral begründet und überhaupt existentielle Verankerung verschafft. Und jetzt habe ich noch nicht einmal erwähnt, was an kulturellen Leistungen durch das Christentum inspiriert wurde, im Bau von Kathedralen, in den bildenden Künsten und der Musik. 

Es ist ein Desaster, wenn eine solche Institution kollabiert oder untergeht. Ich selbst bin kein Christ, aber ich betrachte die Religionshasser oder –verächter als meine Gegner.

Nachdem das Projekt der Aufklärung teils als gescheitert zu betrachten ist, teils als prinzipiell nicht imstande, das zu ersetzen, was Religion im seelischen Haushalt eines Individuums für eine Bedeutung hat, und für eine Gesellschaft substantiell ist, bin ich besorgt über einen drohenden Kollaps des Religiösen.    


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