Wir alle scheinen einen Nebel im Kopf zu haben, wenn es darum geht, uns unserer Sterblichkeit zu stellen. Wem es kurz dämmert, für den ist es ein Schreck, ein Schock ein Skandal, der schnell wieder beiseitegeschoben wird. Doch den meisten dämmert es nie. Es bleibt ihnen eine abstrakte Vorstellung.

Jedoch: Wer sich nicht glasklar seines drohenden und unausweichlichen Todes bewusst ist, der hat auch kein Bewusstsein und keine Wertschätzung seiner eigenen Lebendigkeit.

Man wurschtelt sich durch den Alltag der billigen Lüste, der Sorgen, Nöte und Pflichten, gefangen in einem Netz der sinn- und wertlosen Abhängigkeiten, besorgt um die Rente, ohne jemals zu dem Bewusstsein zu gelangen, was es damit auf sich hat oder haben kann, eine lebendige Existenz als Mensch erleben zu dürfen und zu müssen.

Wer sich aber dessen bewusst wird, für den ist es Geschenk und Horror zugleich.

Vor einigen Jahren hatte ich eine Begegnung mit einer Freundin, die krebskrank war und ihren Tod erwartete. Als Studenten hatten wir mal eine Beziehung für zwei Jahre, die aber zerbrach und sie zog danach in eine andere Stadt. Als wir uns wieder trafen, war sie 49 Jahre alt. Sie war immer noch schön und hatte immer noch diese heutzutage extrem seltene Eigenschaft: Anmut. Wir machten einen ausgiebigen Spaziergang in einem uns beiden vertrauten Park und ihre Niedergeschlagenheit war deutlich zu spüren.  Sie starb ein halbes Jahr später.

Sie war die einzige, mit der die innere Verbindung nie zerrissen ist, auch über den Tod hinaus.

War ihr früher Tod ein Verlust oder ein Geschenk? Wer will das beurteilen? Aber dass ihr das Alter erspart geblieben ist, das kann man auch sehr wohl als Segen betrachten. Es steht mir nicht zu, das zu behaupten.

Aber ein sinnloses Weiterexistieren, nachdem man die großen Erfahrungen im Leben, nämlich Liebe, Kinder, Existenzkampf erlebt hat, und dann nur noch ein betreutes oder nicht betreutes Verwelken zu erwarten hat: Ist das erstrebenswert?

Nur wenige sind dazu begabt, im Alter reicher zu werden und Gewinn aus ihrem Leben zu ziehen.

Vielleicht ist es nicht das Schlechteste, sich aus dieser Welt frühzeitig zu verabschieden. Bevor das Siechtum einsetzt. Bei voller Wertschätzung für das einzigartige Geschenk, als Mensch geboren zu sein.


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