Kritische Anmerkungen zur Evolutionstheorie

Der englische Wissenschaftstheoretiker John Dupré bezeichnet in seinem Buch „Darwins Vermächtnis“ (2003) den Darwinismus als den Schlussstein (Keystone) des Materialismus. Ein Schlussstein ist der oberste Stein in einem gemauerten Bogen, der als letzter gesetzt wird und dem Bogen die finale Stabilität verleiht.

Materialismus

Bevor wir uns der Evolutionstheorie selbst zuwenden, daher erst ein paar Sätze zum Materialismus. Der weltanschauliche Materialismus ist die Vorstellung, dass die Welt aus nichts anderem besteht als aus physikalischen Objekten (Teilchen und Felder) welche bestimmt sind durch die  Naturgesetze. Hier findet sich die Basis aller Realität. Alle weiteren Phänomene bauen sich schichtenweise über dieser untersten Basis auf. Zunächst die chemischen, dann die biologischen Phänomene bis hin zu den höchsten Leistungen des menschlichen Geistes. Jede Ebene ist die Basis für die nächsthöhere oder nächstkomplexere, aber die höhere leitet sich naturgesetzlich aus der niedrigeren ab. Das Verhältnis der Ebenen ist also ein kausales. Dieses Modell trägt den Namen Supervenienz. Nach diesem Modell müssten sich die Eigenschaften des Wassers aus den Eigenschaften der am Wassermolekül beteiligten Atome ableiten lassen. Auf den Streit darum, ob eine Rekonstruktion der Rückführung (Reduktion) der höheren Ebene auf die niedere überall wissenschaftlich gelingen kann, brauchen wir hier nicht einzugehen. Es genügt, festzustellen, dass dieses Ebenen- oder Schichtenmodell in den Naturwissenschaften weitgehend anerkannt ist. Der Philosoph und Physiker Hans-Dieter Mutschler erwähnt ein drittes Moment, das den Materialismus kennzeichnet: Die These von der kausalen Geschlossenheit der Welt. Diese These besagt, dass alles, was auf der Welt geschieht, durch eine lückenlose Kette der kausalen Verursachung erklärt werden kann. Es gibt keine weiteren Ursachen neben solchen, die sich auf die physikalische Basis zurückführen lassen.

Materialismus ist also laut Mutschler definiert durch

  • Das Materieprinzip
  • Das Supervenienzprinzip
  • Das Prinzip der kausalen Geschlossenheit der Welt

Noch zwei Anmerkungen zum Materialismus

Erstens: Im Materialismus wird jeder Prozess passivisch aufgefasst, d.h. jeder Zustand wird durch seine Vergangenheit unter Anwendung der Naturgesetze erzeugt.

Zweitens: Im Materialismus sind alle nichtphysikalischen Entitäten als Verursacher kategorisch ausgeschlossen, also Konzepte wie Seele, Lebenskraft, Geist, Schöpferkraft, Wille, und was dergleichen ist. Wir kommen darauf zurück.

Wenn Dupré den Darwinismus als den Schlussstein des Materialismus bezeichnet, dann bezeugt er sein Interesse daran, der Wahrheit des Materialismus zum Sieg zu verhelfen. Sein Argument lautet: Wenn der Darwinismus wahr ist, dann ist der Materialismus wahr. Dieser Schluss ist natürlich logisch nicht zwingend, aber es wäre in der Tat ungemein schwer, den Materialismus anzuzweifeln, wenn nachgewiesen wäre, dass der Darwinismus wahr ist. Die Wahrheit des Darwinismus wäre ein überwältigendes Argument für den Materialismus.

Der Darwinismus hat unter den wissenschaftlichen Theorien das einzigartige Schicksal, dass sie in der gebildeten Öffentlichkeit immer noch angezweifelt wird. Dies hat teilweise religiöse Hintergründe, auf die wir noch zu sprechen kommen. Aber es gibt auch säkulare Kritik. Gleichzeitig erleben wir das ebenfalls einzigartige Phänomen im Zusammenhang mit dem Darwinismus, dass aus Kreisen der Wissenschaft Kampagnen gefahren werden für die allgemeine Übernahme der darwinistischen Theorie. Das hat teilweise geradezu missionarischen Charakter. Beispiele dafür sind der allseits bekannte englische Biologe Richard Dawkins und in Deutschland Ulrich Kutschera. Ein Bestreiten der Wahrheit des Darwinismus löst in nicht wenigen Leuten regelrechte Wut aus. Damit muss es etwas auf sich haben. Die Vermutung liegt nahe, dass es beim Streit um den Darwinismus weniger um die Abstammungsgeschichte als solcher geht, sondern um eben dies: die Wahrheit des Materialismus als letztem Erklärungshorizont unseres Daseins und damit um einen Kampf der Weltanschauungen.

Denn man kann die Argumentation Duprés auch umdrehen: Scheitert der Darwinismus, dann ist der Materialismus gescheitert. Und zwar final.

Evolutionstheorie Vorbemerkung

Noch ein Wort, bevor wir die Theorie selbst in Augenschein nehmen. Es ist nicht geplant, an dieser Stelle die Theorie zu widerlegen oder großflächig anzugreifen. Die Absicht ist, einige strukturelle Aspekte der Theorie ins Bewusstsein zu heben, „die dem gesunden Menschenverstand ins Gesicht schlagen“, wie es der amerikanische Philosoph Thomas Nagel in seiner Materialismuskritik Mind and Cosmos ausgedrückt hat. Sie sollen eine Einladung dazu sein, sich selber ein Urteil zu bilden, anstatt blind den Behauptungen der Biologie zu glauben. Denn das ist in diesem Fall durchaus statthaft.

Evolutionstheorie

Oft stößt man auf Behauptungen wie „die Evolutionstheorie ist die am besten belegte Theorie der Naturwissenschaft“. Das darf man getrost ins Reich der Märchen verweisen, oder wie der Fachausdruck dafür heute heißt: Fake News. So etwas wie „die Evolutionstheorie“ existiert schon gar nicht. Unter naturwissenschaftlicher Theorie stellt man sich gemeinhin ein konzises, kohärentes System von Sätzen vor, das an der Wirklichkeit überprüft wurde und durch empirische Belege gestützt ist.

Die Evolutionstheorie dagegen ist keine einzelne Theorie, sondern ein Konglomerat von verschiedensten Theorien aus allen möglichen Bereichen. Der große Wissenschaftstheoretiker Wolfgang Stegmüller hat 1984 in seinem Vortrag „Evolutionäre Erkenntnistheorie, Realismus und Wissenschaftstheorie“ darauf hingewiesen, dass die verschiedenen Theorien der Evolutionstheorie noch nie in einen systematischen Zusammenhang gebracht, geschweige denn wissenschaftstheoretisch überhaupt untersucht wurden. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Evolutionstheorie ist zwei Theorien

Für unsere Zwecke ist die wichtigste Unterscheidung innerhalb der Gesamttheorie die folgende, die sich bereits bei Darwin findet:

Innerhalb der Gesamttheorie gibt es einerseits eine erzählende, historische Theorie, welche die Tatsache der Evolution konstatiert und beschreibt. Sie stützt sich hauptsächlich auf Fossilfunde und rekonstruiert eine Vergangenheit, in welcher sich aus Einzellern nach und nach all die komplexen Lebensformen herausgebildet haben, welche die Erde bevölkerten und bevölkern, einschließlich unserer selbst. Diese Theorie ist, wie gesagt, nur beschreibend. Sie ist hier nicht unser Thema sondern wir setzen sie voraus.

Die zweite große Theorie, oder besser: ein Theorienkomplex,  innerhalb der Gesamttheorie ist die erklärende Theorie. Sie firmiert unter dem Namen Selektionstheorie und ist logisch komplett unabhängig von der historischen Theorie. Das heißt, dass die historische Theorie richtig sein könnte, auch wenn die Selektionstheorie falsch ist. Sie wäre einfach nur die falsche Erklärung für das richtig erkannte Geschehen. Diese sehr wichtige Unterscheidung wird oft nicht gemacht, und so wird Kritik an der Selektionstheorie oft – auch von Biologen – gleichgesetzt mit Ablehnung der Evolution überhaupt. Aber das ist hier nicht der Fall.

Was besagt die Selektionstheorie? Es war Darwins Idee, dass die Entwicklung der lebendigen Formen in Analogie zur Züchtung von Nutztieren durch den Menschen stattfindet. Das Stichwort heißt „natürliche Zuchtwahl“ (natural selection). Den Züchter bilden in dem Fall die harten Lebensbedingungen in der freien Natur. Ein Züchter sorgt dafür, dass diejenigen Individuen mit den bevorzugten Eigenschaften sich bevorzugt vermehren, die anderen nicht. Der menschliche Züchter verfolgt dabei Absichten. In der gedachten natürlichen Zuchtwahl ist dies jedoch ein absichtsloser Prozess, der sich rein statistisch auswirkt. Die „fitteren“, sprich besser angepassten Individuen haben in der Summe mehr Chancen auf Nachkommenschaft und verdrängen die anderen im Lauf der Zeit.

Damit Zuchtwahl stattfinden kann, müssen zwischen den Individuen Unterschiede existieren, welche der Zuchtwahl zur Auswahl stehen. Jetzt kommt Mutation ins Spiel. Die Evolution hat eine Unzahl von neuen Formen, Strukturen und Funktionen hervorgebracht. Mit einfacher Zuchtwahl ist das nicht zu erklären. Durch die Entdeckung der Genetik und der sogenannten Mutation scheint das Rätsel gelöst. Durch Mutationen, so die Idee, werden zufälligerweise neue Eigenschaften an den Individuen ausgeprägt. Einige davon sind vorteilhaft und führen zu vermehrtem Fortpflanzungserfolg und mit weiteren solchen Ereignissen kombinieren sie sich irgendwann zu einer komplett neuen Funktion wie dem Auge, dem Flügel, dem Blutkreislauf etc.

Das ist die Idee der Selektionstheorie, mit dem allergröbsten Pinsel gemalt.

Wir erinnern daran, dass wir uns mit der Selektionstheorie, also der erklärenden Theorie zur Evolutionsgeschichte, im Bereich der empirischen Wissenschaft befinden. Empirische Wissenschaft bedeutet, dass ihre Bestätigung durch ein hinreichendes Maß an Messungen, Beobachtungen oder Datenerhebung, sprich: Fakten, zu erfolgen hat.

Liegen solche Daten, Fakten, Messungen, Beobachtungen im Fall der Selektionstheorie vor? Nein. Absolut keine. Die Selektionstheorie ist empirisch komplett unbestätigt. Gleichzeitig ist sie mittlerweile 160 Jahre alt. Sie ist ein Schreibtischprojekt, das, von Weitem betrachtet, eine gewisse Plausibilität suggeriert, bei näherer Betrachtung, also beim Heranrücken an den Einzelfall aber immer unplausibler wird und keinesfalls dadurch bewiesen ist, dass man sie verstanden hat und einleuchtend findet. (Das ist der Grund, warum ein eigenes Urteil statthaft ist: Denn es geht ausschließlich um Plausibilität).

Wir halten an dieser Stelle fest: Ohne den Evolutionsprozess als historisches Ereignis anzuzweifeln, sehen wir, dass die erklärende Theorie dazu, die Selektionstheorie, auch anderthalb Jahrhunderte nach ihrer Veröffentlichung keinen einzigen empirischen Beleg für ihre Richtigkeit präsentieren konnte. Aber genau diese Selektionstheorie sollte ja den Schlussstein bilden für die Wahrheit des Materialismus. Denn das ist mit dem Ausdruck „Darwinismus“ gemeint: Evolution erklärt durch die Selektionstheorie.

Es könnte also sein, dass es mit dem Schlussstein nicht sehr weit her ist. Eine metaphysische Theorie, welche der Materialismus ja ist, trachtet danach, sich durch eine Theorie aus dem Bereich der Naturwissenschaften final bestätigen zu lassen. Aber das ist eine logische Unmöglichkeit, auch wenn empirische Belege für die Selektionstheorie als starkes Argument aufgefasst werden würden, wie wir oben bereits konzediert haben.  Darum kann aber das Anliegen von Dupré im strengen Sinn nicht gelingen: Denn metaphysische Theorien zeichnen sich gerade dadurch als metaphysisch aus, dass sie nichtempirischer Natur sind. Sie können empirisch nicht bestätigt und nicht widerlegt werden. Aber in diesem Fall haben wir die Situation, dass diese empirische Theorie gar keine Empirie liefert, sondern selbst nur Spekulation aus dem Geiste des Materialismus. Der Materialismus bestätigt sich selbst.

Drei kritische Perspektiven auf die Evolutionstheorie

Wenn der Darwinismus, also die Selektionstheorie als die erklärende Theorie, den Schlussstein des Materialismus bilden soll, dann ist damit zunächst einmal ausgesagt, dass sie selbst materialistisch verfasst ist.

Was heißt es, dass die Selektionstheorie, und damit die Evolutionstheorie materialistisch verfasst ist?

Es bedeutet, dass sie letzten Endes eine Art physikalischer Theorie ist. Es bedeutet, dass in ihr Lebewesen als rein physikalische Objekte aufgefasst werden, die von einem Molekül namens DNA gesteuert werden. Steuern heißt hier nicht: etwas beabsichtigen, sondern blinde kausale Verursachung.  

Sie ist eine Theorie über die Bewegung von Materieteilchen, die sich kurzfristig zu gewissen Agglomeraten versammeln. Ein Lebewesen ist innerhalb des Materialismus, und damit in der Evolutionstheorie, eine Art physikalischer oder chemischer Maschine, welche sich in einem Zufallsprozess gebildet hat und dann einem Ausleseprozess unterworfen ist. Es ist ein Apparat, ein seltsames chemisches Gewächs um das DNA-Molekül herum, das einzig dazu dient, das DNA-Molekül zu reproduzieren. Das ist zumindest die Auffassung von Richard Dawkins.

In einer solchen Welt sind alle Prozesse passivisch verfasst, wie weiter oben schon festgestellt wurde. Wenn wir eine Spezies, repräsentiert durch eine Tierpopulation, wie eine Maschine auffassen, was müsste dann passieren, wenn sie unter (Selektions-)Druck gerät, also, um im Bild zu bleiben, Sand im Getriebe hat? Sie (die Maschine) würde immer schlechter funktionieren und am Ende kaputtgehen. Nicht so allerdings in der Evolution. Hier führen Belastungen und schwierige Umstände zu Verbesserungen und Weiterentwicklung. Ist das nicht eine seltsame Behauptung, dass sich dies allein nach physikalischen Gesetzen abspielen soll? Ohne ein aktives Prinzip? Widerspricht das nicht all unseren Erfahrungen und Intuitionen über physikalische Objekte? Im Unterschied zu lebendigen? Was wir im Falle einer Situation des Selektionsdrucks sehen, ist die Selbsterhaltung gegen einen Widerstand. Dies ist im Reich der Physik allerdings etwas völlig Unbekanntes. In der Physik fließt das Wasser immer bergab. Ordnung wird zur Unordnung, wenn keine gestaltende Kraft eingreift. Niemals wird aus Unordnung spontan ein höherer Grad von Ordnung. Dem steht das Entropiegesetz entgegen, welches besagt, dass in physikalischen Systemen die Richtung der Änderung stets von der Ordnung zur Unordnung geht, also von der Komplexität zu ihrer Auflösung, niemals umgekehrt. Wie wird also dieser Vorgang, dass die Maschine sich unter Beeinträchtigung von außen verbessert statt zusammenbricht, die Spezies aber nicht, theoretisch erklärt? Indem eine sprudelnde Quelle von Erfindungen aka Mutationen behauptet wird, welche via Selektion über die Population verbreitet werden. Aber selbst das würde nicht ausreichen zum Erhalt einer Population, wenn ihre Individuen nicht mit Antriebskraft ausgestattet wären, und ihren energetischen Einsatz bei Widerstand gegebenenfalls steigern, gar vervielfachen würden. All dies bildet eine rein physikalische Theorie der Auslese nicht ab. In der Selektionstheorie fließt das Wasser bergauf.

Auch an dieser Stelle: Da wir uns hier im empiriefreien Raum bewegen, ist jeder, der das Konzept ausreichend erfasst hat, qualifiziert, sich ein eigenes Urteil zu bilden.    

Das Problem der Teleologie

Mit dem ersten verwandt ist ein zweiter Punkt, der hier angesprochen werden soll. Die Evolution wird als völlig ziel- und absichtslos betrachtet, und die Theorie des Selektionsprozesses lässt die Sichtweise nicht zu, dass die Evolution die Vögel mit Flügeln versehen hat, um zu fliegen, sondern der Zufall schuf diese Flügel, und der Vogel flog halt damit, weil er sie hatte. Die Rede ist von Teleologie. Sie ist in der Evolutionsbiologie und in der Biologie überhaupt ein Tabu. Sie gehört dort in den Giftschrank. Ziele, Zwecke, Funktionen, Streben – all das hat in einer materialistischen Welt keinen Platz. Nur ist es leider so, dass die Formulierung der Evolutionstheorie nur so strotzt von teleologischen Begriffen. Bereits im Begriff „Überleben“ steckt eine teleologische Implikation, insofern hier nämlich jemand etwas will. Leben ist mit Interesse verbunden, und nicht nur einfach ein Geschehen. Dementsprechend nehmen Begriffe wie Fitness und Anpassung Bezug auf dieses Interesse, das es in der reinen materialistischen Welt nicht geben kann. Anpassung ist dabei kein Befund der Beobachtung, sondern ein theoretisches Konzept der Selektionstheorie. Was bedeutet der Begriff Konkurrenz in einer Welt, die nur aus rein physikalischen Abläufen besteht? Können Steine konkurrieren, die in einem Flussbett liegen? Lebewesen streben nach dem Erhalt ihres Daseins. Eine physikalische Theorie des Lebendigen, die komplett passivisch verfasst ist, kann das nicht denken.  

Im Interpretationsrahmen der Selektionstheorie entsteht jede Struktur ohne Absicht auf die Erfüllung einer Funktion. Sondern einfach so. Als Betrachter stellen wir allerdings fest, dass ein Organismus bis ins letzte Molekül funktional konstruiert ist. Und obendrein von außen oft noch einen überwältigenden ästhetischen Anblick bietet, was alles andere als ein Zufallsereignis darstellt, und auch ganz bestimmt kein Ergebnis von sexueller Selektion ist. Auch hier sind wir angesichts solch empiriefreier Behauptungen der Zufälligkeit und Absichtslosigkeit legitimiert, diese zurückzuweisen, da sie nichts weiter sind als eine bestimmte Lesart der Natur, ohne jene Unterstützung durch empirische Belege, welche die einzige Währung der Überzeugungskraft in den Naturwissenschaften sind. 

Kreativität in der Evolution

Kommen wir zu einem weiteren Aspekt der Theorie: Die Entstehung des Neuen. Neue Strukturen, Organe oder Funktionen werden ausnahmslos dem Zufall der Mutationsereignisse zugeschrieben. Aufgrund der Komplexität vieler Organe vermutet man deren Entwicklung in vielen Einzelschritten, wobei jeder Zwischenschritt einen Überlebensvorteil mit sich bringen muss, der selektiert werden kann. Gleichzeitig muss auf der betreffenden Funktion ein Selektionsdruck lasten, sonst würde sich das vorteilhafte Merkmal nicht in der Population verbreiten. Das ist die theoretische Forderung. Selbstverständlich gibt es auch hierfür keinerlei empirischen Beleg, dass es sich so abspielt.

Nun erleben wir rückblickend die erstaunliche Situation, dass der Zufall immer in ausreichender Menge und punktgenau zur Stelle gewesen sein soll, um das Leben vor dem Untergang zu bewahren. Wenn auch viele Arten untergegangen sind – niemand weiß im Einzelfall, warum – quillt die Erde seit jeher über von Leben. Der Zufall, der hier bemüht wird, ist kein statistischer Zufall wie beim Würfeln, noch der Zufall der mathematischen Wahrscheinlichkeit, sondern der Zufall der singulären Ereignisse, der sich jenseits aller Quantifizierbarkeit befindet. Die Anzahl dieser Zufälle, welche die Selektionstheorie behauptet, um die Existenz der Strukturen der lebendigen Welt zu begründen, ist allerdings unermesslich. Wir schreiben es dem Zufall zu, wenn wir irgendwo in Kenia bei einem Streetfood-Verkäufer einen alten Schulkameraden treffen. Dass aber das Fortbestehen der gesamten lebendigen Sphäre auf der Welt am zuverlässigen Eintreten solcher Ereignisse hängt, ist eine – vorsichtig ausgedrückt – hochgradig optimistische Sicht. Ich würde es eher metaphysisch hilflos nennen. Der Zufall wird hier gewissermaßen zu einem eigenständigen Akteur, einer metaphysischen Quelle der Kreativität. Das ist nicht mehr sehr weit entfernt von der Behauptung einer Schöpferkraft. Es erweist sich, dass die Evolutionstheorie ohne eine solche Instanz nicht auskommt. Und je mehr man von Anatomie und Physiologie versteht, desto größer wird die Verwunderung, da sich die Konstruktion der lebendigen Organismen als um mehrere Größenordnungen komplexer erweist, als der gemeine Verstand vermutet. Mithin ist es vollkommen legitim, der Beteuerung der Zufälligkeit aller Entstehung von Neuem keinen großen Glauben zu schenken, denn auch hier gilt, was für alle Aspekte der Selektionstheorie gilt: Ein Beleg für die Zufälligkeit der Neubildungen ist nicht zu erbringen, und zwar prinzipiell nicht, also bis in alle Ewigkeit.   

Was sind Alternativen?

Damit sind drei Aspekte von etlichen weiteren benannt worden, die der Intuition der meisten zuwiderlaufen, und denen die Wissenschaft nur mit Beteuerung ihrer Wahrheit aus dem Geist des Materialismus entgegnen kann. Denn die einzige Münze, die in der Wissenschaft Geltung hat, der empirische Beleg, kann sie nicht auf den Tisch legen.

Wenn wir also die Selektionstheorie in Frage stellen, weil sie notwendig als eine quasiphysikalische Theorie verfasst ist, die einem lebendigen Geschehen nicht Rechnung tragen kann, so stellt sich natürlich die Frage nach den Alternativen. Der erste Verdacht fällt auf den Kreationismus.

Kreationismus

Sowohl Dawkins als auch Kutschera in Deutschland haben aggressive Kampagnen gefahren gegen den Kreationismus. Was sie jeweils so in Harnisch gebracht hat, ist eher ein psychologisches als ein wissenschaftliches Problem. Um es klarzustellen: Kreationismus, der sich aus der Bibelgläubigkeit speist, stellt überhaupt keine Konkurrenz zu einer wissenschaftlichen Theorie dar. Wenn sich jemand auf den alttestamentarischen Text der Genesis bezieht und ihn als quasiwissenschaftliche Alternative zur Evolutionstheorie begreift, der hat überhaupt nicht begriffen, womit er es zu tun hat. Der Text der Genesis, ebenso wie alle Schöpfungserzählungen der Antike bei den Griechen, den Kelten oder Germanen, sind Mythen. Mythen sind weit älter als Wissenschaft. Wir Heutige sind der Fähigkeit, mythologisch zu denken, weitgehend verlustig gegangen, aber wir können immer noch wissen, was es nicht war oder ist. Mythen sind keine Theorien und keine historischen Berichte. Mythen sind eine Weise, in der Menschen sich mit dem Unverständlichen versöhnen und ihren intuitiv erfassten Ort im Kosmos beschreiben, um dort heimisch zu werden. Dies geschieht in Form von Geschichten.

Was dann?         

Wenn man der Argumentation soweit gefolgt ist, dass die Selektionstheorie in der Beschreibung der Beschaffenheit der natürlichen Welt und damit ihre Erklärung für die Entstehung des Menschen mindestens zweifelhaft ist oder sogar verfehlt, und ein religiös motivierter Kreationismus ausscheidet, dann wird so manch einer fragen: Was ist denn die Alternative?

Die Antwort würde mit der Gegenfrage beginnen: Müssen wir denn eine Antwort haben? Der Mythos hat ausgedient als Antwort. Das mythologische Denken, seine Grammatik ist uns fremd geworden. Die Wissenschaft hat mittlerweile erkannt, dass es Evolution gegeben hat. Aber sie kann ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht werden, sie überzeugend zu erklären. Was wäre so schlimm daran? Was wäre so schlimm daran, in einer Welt zu leben, in der großen metaphysischen Fragen – der Ursprung der Welt, des Lebens, des Menschen – unbeantwortbar sind, weil unserer Erkenntnisfähigkeit Grenzen gesetzt sind, und die Antworten auf jene Fragen weit jenseits dieser Grenzen liegen? Nichts hindert daran, weiter im Rahmen der Naturwissenschaft nach Antworten auf diese Fragen zu suchen. Aber es ist nicht ausgeschlossen, dass die Conditio humana darin besteht, dass wir diese Fragen nie werden beantworten können. Die Einsicht in das Nichtwissenkönnen ist geeignet, uns in einen Zustand der Demut zu versetzen, welcher das Gegenteil ist von der Unterwürfigkeit unter ein Dogma finaler Erkenntnis.

Wenn der Darwinismus als Kronzeuge des Materialismus scheitert, dann ist das Universum fundamental anders beschaffen, als die empirischen Naturwissenschaften es beschreiben.

Das Fazit ist – und darüber dürfen wir alle froh sein – dass wir uns alle selbst unseren Reim auf unsere Existenz machen müssen und dürfen.

In Wirklichkeit stehen wir jeder allein vor dem Rätsel unserer Existenz und dem Rätsel des Universums.


Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert