„Das Rätsel Merkel

„Das Rätsel Merkel“

Nach wie stellt Merkel für die Interessierten ein Rätsel dar, steht wie eine Sphinx im Raum, unerklärt und undurchdringlich. Ihre Selbstbiographie hat, wie zu erwarten war, zur Lösung der Frage gar nichts beigetragen (sagen jedenfalls viele Leser vom Fach, wie zum Beispiel ihr Biograf Klaus Rüdiger Mai. Ich habe sie nicht gelesen).

Was die oft gerühmte Intelligenz der Frau Merkel betrifft, so hatte ich da schon immer meine Zweifel. Das mag für einen gewissen Bereich zutreffen, und darüber hinaus mag auch gelten, dass von Blinden der Einäugige schnell zum König erklärt wird.

Denn was Frau Merkel ganz gewiss niemals hatte bei all ihrer angeblichen Intelligenz: Ein Bewusstsein davon, was ihrem Handeln zugrunde lag, was sie leitete.

Und hier kommt meine Aufklärung dieses „Rätsels“. Zunächst: Hinter dieser geheimnisvollen Fassade steckt keine strategische Intelligenz, die ein verstecktes politisches Ziel verfolgt und gar unter Zuhilfenahme der Hegelschen List der Vernunft um fünf Ecken herum dasselbe eisern verfolgt. Nein, diese Suche, auf die sich viele Journalisten und Politologen begeben haben, führt nirgendwo hin. Denn die Lösung, so meine Vermutung, scheint nur deswegen so verborgen, weil sie von höchster Banalität ist. So banal, dass es eben eine Beleidigung für die Menschen von Verstand in unserem Land darstellt. Und darüber hinaus, weil dies eine erschreckende Verwundbarkeit des demokratischen Systems in Deutschland offenbar gemacht hat.

Meiner Beobachtung nach ist Merkel in der Sache (d.h. in ihrer politischen Position) geleitet rein von ihren privaten Neigungen ohne die geringsten Anflüge einer politischen Idee, Konzepts oder Programms. Und zweitens – und das ist bislang unbeachtet geblieben – ist ihre Auffassung von Führung, komplett unreflektiert in ihrer Sozialisation aufgeschnappt, rein stalinistisch. Stalinistisch heißt, dass die Partei als Organ der Wahrheit oberhalb des Staatsapparats steht und diesen instrumentalisieren darf (und ggfs. muss). Da es Merkel nun im Unterschied zu Stalin an einer Theorie mangelte, an einer leitenden Parteidoktrin, war bei ihr die „Wahrheit“ repräsentiert durch das blanke „Ich will“. Das völlig reflektionslose „Ich finde…“, „Mir ist wichtig,…“, „Ich bin überzeugt, dass…“, womit sie ad nauseam ausnahmslos alle Anfragen an eine Begründung ihres Verhaltens abgebügelt hat, und dies immerhin 16 Jahre lang – das sprach nicht eine so scheinbar bescheidene, gutherzige Angela. Vielmehr war dies jeweils knallharte Ansage und Ausdruck ihrer autokratischen Mentalität, für die das bloße „ich will“ keine weitere Rechtfertigung mehr überhaupt für nötig hält.

Im Tagesgeschäft der Regierung hat diese Kombination aus unreflektierter, geradezu unpolitischer Neigung bei ebenso unreflektiert praktiziertem stalinistischen Führungsverständnis zu einem weitgehend orientierungsfreien Opportunismus geführt, dessen letztes Leitprinzip die Erwartung der persönlichen Anerkennung in der öffentlichen (=veröffentlichten) Meinung im In- und Ausland war. Was kurzfristig ja auch oft geklappt hat, langfristig aber verheerend war.

Bestürzend war es, zu sehen, dass sich nicht nur ihre Partei (diese übrigens geradezu auf hündische Weise), sondern die Vertreter sämtlicher anderer Institutionen diesem Stalinismus widerstandslos unterworfen und damit offenbart haben, wie feige opportunistisch bzw. ignorant gegenüber dem im Grundgesetz niedergelegten Geist der deutschen Demokratie diese selbsterklärte sogenannte „Elite“ durchs Dasein stolpert. Der Schaden, die Verschiebung der Mentalität im Machtgebrauch von den Institutionen zu den Parteien, ist schon aufgrund ihrer langen Herrschaftsdauer nicht wieder rückgängig zu machen. An Merkels „Stalinismus“ wird die deutsche politische Praxis von nun an dauerhaft kranken.      


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