Christentum und Moderne sind inkompatibel

Es gibt im Protestantismus seit Luther unzählige Versuche, das Christentum, die christliche Botschaft kompatibel mit dem neuzeitlichen und modernen Denken zu machen und zu erläutern. Das geht bis zu Versuchen, in der Theologie ohne Gott auszukommen (Dorothee Sölle u.a.) und die Botschaft Jesu auf eine Sozialethik einzudampfen.

Meine eigene Beschäftigung mit der Materie hat mich jedoch zu der Einsicht geführt, dass das nicht funktioniert. Der christliche Glaube, wie er im Neuen Testament niedergelegt ist, ist dem neuzeitlichen, dem zeitgenössischen Denken nicht vermittelbar. In einem solchen Versuch wird er zu einer Farce, einer leeren Hülle oder er verschwindet komplett. Die Katholiken haben das besser begriffen als die Protestanten, die seit Schleiermacher mit höchster Anstrengung immer wieder um diese Vermittlung gekämpft haben. Aber es hat nicht funktioniert. Die Vorstellung, es gäbe einen überhistorischen Gehalt des christlichen Glaubens, den man nur in die Sprache des jeweiligen Zeitalters transportieren muss, ist irrig.

In Wirklichkeit ist der christliche Glaube weltanschaulich wie inhaltlich komplett eingebunden in eine antike orientalische Sicht der Welt, in der Dämonen herrschen, in der Gott der Herr nach Belieben auserwählt und verdammt, in der er den Tod hinwegnehmen kann, in der mit magischen Riten wie der Taufe alle Sündenschuld abgewaschen wird, in der Gott Vater gleichzeitig das Prinzip der Welt ist und als Person auf einem himmlischen Thron sitzt, denn zu seiner Rechten saß bekanntlich sein Sohn.

Für die antike Mentalität war das kein Problem, denn erstens waren im römischen Reich damals etliche Mysterienkulte am Start. Neben den „klassischen“ griechischen und römischen Göttern waren Kulte und Lehren wie der des Mithras (Sonnengott), der Kybele, der Isis, sowie die Gnosis und weitere orientalischen Anschauungen unterwegs.

Mit der logischen Kohärenz hat man es damals nicht so sehr gehabt, das scheint ein Merkmal der Religiösen zu sein, dafür mehr mit dem Undurchsichtigen und Geheimnisvollen. Religiöse Gemüter sind hochgradig bereit, Aussagen anzunehmen, die sich gegebenenfalls gleichzeitig auf die historische Wirklichkeit, auf eine transzendente Sphäre und auf eine utopische Endzeit beziehen. Im Kopf verschmilzt das alles zu einer undurchdringlichen Einheit, die der Enthusiast zur höchsten Wahrheit verklären kann. Dieses Denken findet sich schon bei Johannes dem Täufer und Jesus in ihrem Selbstverständnis und in der Rezeption ihrer Jünger. Abgesichert werden deren Wahrheiten ausschließlich durch ihr Selbstbewusstsein, mit dem Vollbesitz der Wahrheit ausgestattet zu sein und der Bereitschaft der Jünger, dem zu folgen. Immer wieder treten Charismatiker auf, die fähig sind, andere von der Realität sogenannter Mysterien zu überzeugen. Im Falle des Christentums ist die Aussage allerdings derartig drastisch, dass sie die Aufklärung nicht überlebt hat. Denn die Aufklärung war genau dies: Die Ablösung der durch die Religion inspirierten Metaphysik durch ein Weltbild, das geformt ist durch die Prinzipien der Rationalität und der empirischen Wissenschaft, und dies untermalt mit dem Glauben an die Wahrheit des Materialismus. Dass dies wiederum selbst eine Art Mythologie ist, steht auf einem anderen Blatt.

Ich wiederhole es hier: Im Kern des Christentums geht es um die Erlösung von der Schuld durch die Sünde und den Erhalt des ewigen Lebens, welches gewährt wird durch die Taufe und den bedingungslose glaubende Hingabe an Jesus Christus, den dem Vater wesensgleichen Sohn Gottes. So ist es verbürgt bei den Synoptikern, bei Johannes und bei Paulus. Und so ist es überliefert von der Urgemeinde und den weiteren frühen Christen. Hieraus ein Destillat zu machen, das dem modernen Menschen verdaulich ist, halte ich für Selbstbetrug oder eben Betrug.

Das ist ein riesengroßes Drama, denn mit dem Untergang der christlichen Religion, der unbestreitbar vor unseren Augen stattfindet (2023 sind in Deutschland über 900.000 Mitglieder aus den Kirchen ausgetreten!) geht ein tragender Pfeiler der abendländischen Kultur, der abendländischen Mentalität zugrunde. Es wird nicht mehr viele Generationen dauern, bis aus den Kirchen und Kathedralen entleerte Denkmäler geworden sind, die, ähnlich Königsschlössern, nur noch dem touristischen Gebrauch dienen.

In der hohen Zeit der Aufklärung, also im 18. Jhd., entstanden Vorschläge zu einer sogenannten „natürlichen Religion“, welche im Unterschied zur komplexen Dogmatik der christlichen Religion in einem einfachen Glauben an Gott unter der Aufsicht des Staates bestehen sollte, während die gewachsenen Religionen Privatsache bleiben sollten. Das hat sich natürlich nicht umsetzen lassen, aber es illustriert den Konflikt zwischen dem Glaubensinhalt des realen Christentums und dem Bedarf an einer Religion überhaupt. Wir wissen ja, wie die Geschichte weitergegangen ist: Nämlich als Verfallsgeschichte, wobei die Verteidiger geistig und spirituell immer schwächer wurden, und die Feinde und Zerstörer immer aggressiver und auch platter.

An eine Erneuerung der christlichen Religion glaube ich nicht. Der Heilige Geist, um im Bilde zu bleiben, hat sich schon lange aus dem Staub der Kirche gemacht, Nietzsche hat das Fazit ja schon vor weit über 100 Jahren gezogen.


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