Anmerkungen zu Paulus

Nachdem ich eine große theologische Bibliothek geerbt habe mit ca 3000 Titeln oder mehr, habe ich auch etliche Regalmeter daraus in meine eigene Bibliothek überführt, meist Theologisches, aber auch aus anderen Fachbereichen wie Philosophie, Kunstgeschichte etc. Den Rest versuche ich irgendwie unter das Volk zu bringen, und wo mir das nicht gelingt, muss eines Tages nolens volens der große Container her.

Meine theologischen Neuerwerbungen umfassen diverse Dogmatiken, Kirchen- und Dogmengeschichten, Monographien einzelner Bibeltexte, Einführungswerke in AT und NT, Quellentexte zur Kirchengeschichte, Historisches, Werke epochemachender protestantischer Theologen von Luther über Schleiermacher bis Gogarten und etliches andere.

Was nützt aber die schönste Bibliothek, wenn man darin nicht studiert? Daher habe ich mir vorgesetzt, mir anhand all der Schätze noch einmal eine Generalübersicht über christlichen Glauben und Kirche mit ihren wesentlichen Inhalten und Entwicklungen zu erarbeiten, bis alle meine Fragen beantwortet sind.

Mich wurmt es nämlich bereits seit langem, dass ich zwar den Aristoteles etc. mit ziemlich vollem Verständnis lesen kann, den Paulus und die Evangelisten aber nicht. Es hat also nicht allein etwas mit dem zeitlichen Abstand zu tun, sondern mit bestimmten Eigenschaften religiöser Literatur.

Dank der hervorragenden Literatur, über die ich jetzt verfüge, bin ich nach einer Woche schon etwas schlauer geworden. Dabei lese ich eine Theologie des Neuen Testaments, eine Dogmengeschichte und eine Kirchengeschichte parallel, ergänzend dazu weitere Werke mit dieser Thematik.

Hier soll es also um Paulus gehen.

Wer schon mal den Römerbrief gelesen hat, der kann daran verzweifeln, denn er versteht kein Wort, wenn er nicht den religiösen Hintergrund des Juden Paulus (des ehemaligen Pharisäers Saulus) kennt, und fragt: Ja, was heißt das jetzt genau? Denn leider wird dieser Hintergrund in den gängigen Darstellungen des christlichen Glaubens entweder nur kurz gestreift und dann beiseite geschoben, oder komplett ausgeblendet.

Also zur Sache:

Dem modernen Denken ist sind solche Formeln wie „Jesus ist für unsere Sünden gestorben“, „wir sind durch Glauben gerechtfertigt“, „wer an Christus glaubt, erwirbt das ewige Leben“ etc., wie sie auf Paulus zurückgehen, völlig unverständlich.

Was aber steckt dahinter?

Paulus war ein gesetzestreuer Jude, der beflissen die jüdischen Gebote, also Gesetze einhielt im verbreiteten Glauben, dadurch dem Gott wohlgefällig zu werden. Mit seinem Bekenntnis zu Jesus Christus änderte sich seine Vorstellung. Jesus hatte in der Nachfolge zu Johannes dem Täufer in seiner Person das Anbrechen bzw. das nahe Bevorstehen der Gottesherrschaft, und damit der Endzeit verkündet, an dessen Ende das Gericht stehen würde, mit der Errettung derjenigen, die an ihn glauben und der Verdammnis der anderen. Dies war ganz real zu verstehen: Die einen fahren in die reale Hölle, die anderen werden real unsterblich. Und das Ganze bedeutet das Ende der Weltgeschichte. Punkt. Aus. Das Ganze steht kurz bevor. Bis dahin ist allen, die an Jesus den Christus glauben, als der er sich durch die Auferstehung erwiesen hat, die Last der Sünden genommen, denn anstatt weiterhin tagtäglich das Gesetz zu praktizieren, reicht es ab jetzt, sich der voraussetzungslosen Liebe Gottes, also seiner Gnade inne zu werden, und der Glaube an Jesus Christus ist gewissermaßen das Vehikel, an dem sich dieser Glaube festmacht. Dieser Endzeithorizont ist also ganz entscheidend für das Verständnis sowohl von Jesus als auch von Paulus wie auch das Handeln der Märtyrer, die teilweise freudig in den Tod gingen, weil sie überzeugt waren, dass der ihnen nichts anhaben könne. Denn im Glauben war es ihnen verbürgt.

Noch ein weiterer Aspekt das paulinischen Denkens ist von eminenter Bedeutung, der meist nicht die gebührende Beachtung erfährt: Die gesamte Welt und die Menschen sind durch und durch beherrscht von bösen Geistern und Dämonen. Durch das Eintreten der realen, historischen Gottesherrschaft (Reich Gottes), was in Kürze der Fall sein würde, verlieren sie aber durch die göttliche Macht des Christus ihre Macht über die Glaubenden. Am Ende schwindet sogar der reale Tod, den Adam durch seine Sündhaftigkeit auf die Welt geholt hatte und den sich bis zum sogenannten Heilswerk Jesu Christi jeder einzelne durch seine Sündhaftigkeit verdient hatte. Durch den Tod Jesu jedoch erweist Gott den Glaubenden die Gnade der Vergebung der Sünden und schenkt ihnen damit das ewige Leben. Die theologischen Überlegungen dahinter sind nicht einfach nachzuvollziehen, aber man merkt ihnen die Anstrengung an, den Tod Jesu von einer Niederlage in einen Triumph umzuinterpretieren.

Das ist hier eine superknappe Skizze vom Glaubenshintergrund des Paulus und seiner Interpretation des Christusgeschehens, und ich will nochmals betonen, dass seine Vorstellungen von der anbrechenden Endzeit mitsamt dem Gericht, die Erwartung des ewigen Lebens und die gegenwärtige Herrschaft der Dämonen für ihn von allerhöchster Realität waren. Keine Symbolik, keine Metapher. Tod ist Tod, Auferstehung ist Auferstehung, ewig heißt ewig. Ohne dies bleiben die Schriften von Paulus unverständlich.

Wenn man dies einmal erkannt hat, dann wird auch klar, in welchem Dilemma die Kirche, vor allem die protestantische, steckt, wenn sie den christlichen Glauben dem modernen Menschen nahe bringen will, besonders nachdem die Gottesherrschaft partout nicht eingetreten ist. Viel Glück dabei! Ich glaube, das geht schief seit Schleiermacher.


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